Das folgende Kapitel aus dem Buch von Thich Nhat Hanh „Das Wunder der Achtsamkeit“ beschäftigt mich gerade sehr – ich sehe darin einen wunderbaren Weg. Nehmt Euch einfach die Zeit, es selbst zu lesen.
Dazu die Fotoserie „Tropfen“, die Stefan letzten Sonntag aufgenommen hat, nachdem ich die wunderschön blühende Agapanthus gegossen hatte (Fotos von den Blütendolden kommen auch noch!)
GÖNNEN SIE SICH EINEN TAG DER ACHTSAMKEIT
Jeden Tag und jede Stunde sollten wir Achtsamkeit üben.Das lässt sich leicht sagen, es aber praktisch umzusetzen ist nicht einfach. Aus diesem Grund rate ich allen, die zu meinen Meditationssitzungen kommen, einen Tag in der Woche der Achtsamkeitspraxis zu widmen. Im Prinzip sollte natürlich jeder Tag Ihr Tag und jede Stunde Ihre Stunde sein. Doch nur sehr wenige von uns sind bereits an diesen Punkt gelangt. Zumeist haben wir doch den Eindruck, dass uns Familie, Arbeit und Gesellschaft die Zeit stehlen. Ich bitte Sie daher inständig, sich einen Tag in der Woche für die Praxis zu nehmen, vielleicht den Samstag.
Wenn es also der Samstag ist, dann muss das völlig Ihr Tag sein. Ein Tag, an dem nur Sie Regie führen. Dann wird der Samstag zum Ausgangspunkt auf dem Weg, Achtsamkeit zu einer Gewohnheit werden zu lassen. Jeder Mensch, der zum Beispiel in einer Friedens- oder Hilfsorganisation mitarbeitet, hat ein Recht auf einen solchen Tag, ganz gleich, wie wichtig seine Arbeit, sein Einsatz ist. Denn ohne einen solchen Tag verlieren wir uns ganz schnell in diesem Leben voller Sorgen und Aktivitäten, und unsere Handlungen zeitigen immer weniger Wirkung, unsere Arbeit verliert an Effektivität. Welchen Tag Sie auch wählen, betrachten Sie ihn als Ihren Tag der Achtsamkeit. Schon beim Aufwachen sollten Sie sich daran erinnern, dass heute Ihr Tag der Achtsamkeit ist. Sie können sich als Erinnerungsstütze etwas an die Decke oder an die Wand hängen, etwa ein Stück Papier mit dem Wort »Achtsamkeit« oder einen Kiefernzweig – irgendetwas, das Sie bereits, wenn Sie die Augen öffnen, darauf hinweist, dass heute Ihr Tag der Achtsamkeit ist. Heute ist Ihr Tag. Wenn Sie daran denken, reagieren Sie womöglich mit einem kleinen Lächeln, einem Lächeln, das Ihre Achtsamkeit bestätigt, das diese völlige Achtsamkeit in Ihnen nährt.
Noch im Liegen beginnen Sie damit, Ihrem Atem zu folgen. Machen Sie lange und bewusste Atemzüge. Dann stehen Sie langsam auf (statt wie üblich mit einem Satz aus dem Bett zu springen …), stärken Sie Ihre Achtsamkeit mit jeder Bewegung. Wenn Sie aufgestanden sind, putzen Sie sich die Zähne, waschen Sie sich das Gesicht und führen Sie alle morgendlichen Handlungen ruhig und entspannt aus. Verbringen Sie jeden Augenblick in Achtsamkeit. Folgen Sie Ihrem Atem. Seien Sie sich Ihres Atems bewusst und lassen Sie Ihre Gedanken nicht umherirren. Jede Bewegung sollte in Ruhe geschehen. Messen Sie Ihre Schritte mit ruhigen, langen Atemzügen. Behalten Sie Ihr Halblächeln bei.
Nehmen Sie sich mindestens eine halbe Stunde Zeit für ein Bad. Baden Sie langsam und achtsam, so dass Sie sich hinterher leicht und frisch fühlen. Danach können Sie die Hausarbeit erledigen: abwaschen, staubwischen, Tische reinigen, den Küchenfußboden schrubben oder Bücher sortieren. Was auch immer Sie tun, tun Sie es langsam, entspannt und voller Achtsamkeit. Erledigen Sie bitte keine Arbeit mit dem Gefühl, sie nur schnell hinter sich bringen zu wollen. Entschließen Sie sich dazu, jede Arbeit entspannt zu machen, mit all Ihrer Aufmerksamkeit. Freuen Sie sich daran und seien Sie eins mit der Arbeit. Ohne das hat der Tag der Achtsamkeit keinen Wert. Das Gefühl, dass irgendeine Arbeit eine Last ist, verschwindet sehr schnell, wenn Sie sie achtsam tun. Nehmen Sie sich die Zenmeister zum Vorbild! Welche Arbeit oder Bewegung diese auch ausführen, sie tun es langsam, gleichmäßig und ohne Widerwillen.
Für diejenigen, die mit der Praxis erst beginnen, ist es am besten, diesen Tag im Geist des Schweigens zu verbringen.
Das heißt nicht, dass Sie am Tag der Achtsamkeit überhaupt nicht sprechen sollten. Sie können reden, ja sogar singen.
Wenn Sie aber sprechen oder singen, so tun Sie es in völliger Achtsamkeit dafür, was Sie sagen oder singen. Und beschränken Sie das Reden und Singen auf ein Minimum. Natürlich ist es möglich, zu singen und gleichzeitig achtsam zu sein, solange man sich der Tatsache bewusst ist, dass man singt und was man singt. Doch solange die Kraft der eigenen Meditation noch schwach ist, wenn man singt oder redet, kommt man leicht von der Achtsamkeit ab.
Bereiten Sie sich das Mittagessen heute allein zu. Kochen Sie sich Ihr Essen und spülen Sie das Geschirr voller Achtsamkeit. Machen Sie für sich eine Kanne Tee – einmal am Morgen, nachdem Sie das Haus geputzt und in Ordnung gebracht haben, und dann wieder am Nachmittag, wenn Sie im Garten gearbeitet, die Wolken beobachtet oder Blumen gepflückt haben. Trinken Sie Ihren Tee in Achtsamkeit und nehmen Sie sich Zeit dafür. Bitte trinken Sie Ihren Tee nicht wie jemand, der in der Arbeitspause eine Tasse Kaffee hinunterstürzt! Trinken Sie vielmehr Ihren Tee langsam und voller Achtung, als wäre dies die Achse, um die sich die Erde dreht – langsam, gleichmäßig und ohne einer Zukunft entgegenzueilen. Leben Sie den konkreten Augenblick! Nur dieser konkrete Augenblick ist Ihr Leben. Kleben Sie nicht an der Zukunft. Machen Sie sich keine Sorgen über das, was Sie alles zu tun haben. Verschwenden Sie keinen Gedanken daran, aufzustehen oder loszugehen, um irgendetwas zu erledigen. Denken Sie nicht daran, »fortzugehen«.
Sei eine Knospe, die still in einer Hecke ruht.
Sei ein Lächeln, Teil einer Wunderwelt.
Bleib hier. Du brauchst nicht fortzugehen.
Diese Heimat ist so schön
wie die Heimat unserer Kindheit.
füg ihr bitte keinen Schaden zu und sing weiter …
Am Abend können Sie inspirierende Bücher lesen, Teile daraus abschreiben, Briefe an liebe Menschen schreiben oder irgendetwas tun, das nicht zu Ihren üblichen Alltagspflichten gehört. Was immer Sie tun, tun Sie es mit Achtsamkeit. Essen Sie nur wenig zu Abend. Es fällt Ihnen leichter zu meditieren, wenn der Magen leer ist. Hinterher können Sie eventuell noch einen gemächlichen Spaziergang in der frischen Abendluft machen. Folgen Sie dabei achtsam Ihrem Atem und messen Sie die Länge der Atemzüge mit Ihren Schritten. Kehren Sie danach ins Haus oder in Ihre Wohnung zurück, gehen Sie in Ihr Schlafzimmer und begeben Sie sich voller Achtsamkeit zur Ruhe.
Es müsste doch möglich sein, dass sich jeder arbeitende Mensch einen Tag der Achtsamkeit gönnen kann. So ein Tag ist äußerst wichtig, denn seine Auswirkung auf die anderen Tage der Woche ist ganz erheblich. Ein solcher Tag der Achtsamkeit hat vor vielen Jahren schon Chu Van und unseren anderen Schwestern und Brüdern im Tiep-Hien-Orden über schwierige Zeiten hinweggeholfen. Wenn Sie auch nur drei Monate lang einen Tag in der Woche der Achtsamkeit widmen, werden Sie bereits eine bedeutende Veränderung in Ihrem Leben wahrnehmen – dessen bin ich mir sicher. Dieser Tag der Achtsamkeit färbt ab auf die übrigen Tage der Woche und macht es Ihnen schließlich möglich, sieben Tage der Woche in Achtsamkeit zu leben. Ich denke. Sie sehen das genauso wie ich: dass so ein Tag der Achtsamkeit in der Woche eine äußerst wichtige Sache ist.
aus: Thich Nhat Hanh „Das Wunder der Achtsamkeit“ (Theseus).
Klappentext: Thich Nhat Hanh genießt als Mediationslehrer, Dichter und führender Vertreter eines engagierten Buddhismus weltweit hohes Ansehen. Seine sanfte, mitfühlende Art der Vermittlung buddhistischer Lehren und Methoden, sein Verständnis der westlichen Psyche und sein unermüdliches Eintreten für Frieden und soziale Gerechtigkeit haben ihn weit über buddhistische Kreise hinaus bekannt gemacht. Thich Nhat Hanh lebt seit Jahren im Exil in Frankreich in der von ihm gegründeten spirituellen Gemeinschaft „Plum Village“.