Ups and Downs…Herbstmelancholie und noch ein Wort zu Rilke

Da erzähle ich doch vor kurzem noch, dass die Herbstmelancholie bei mir in diesem Jahr ausbleibt… es ist wirklich das erste Mal in meinem Leben, dass ich diese Jahreszeit annehmen kann, ohne das Gefühl zu haben, gleich in Tränen ausbrechen zu müssen.
Ich genieße die milde Wärme der Sonnenstrahlen, die wunderschönen roten Farben von Beeren, Kaminfeuer und all die typischen Dinge, die den Herbst begleiten.

Dennoch beschleicht es mich nun ein wenig – (vielleicht weil ich nicht ganz auf der Höhe bin), dieses ach so bekannte, etwas wehmütige Gefühl, das so typisch ist und mich im Frühherbst oft begleitet – ja selbst nachts bis in düstere Träume hinein.

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Das Gedicht „Herbsttag“, das ich am Sonntag hier eingestellt habe, hat ganz genau zu diesem Gefühl gepasst. Einige der eingestellten Kommentare gehen mir immer noch im Kopf herum. „Balsam für die Seele“ sei das Gedicht oder „Rilke macht richtig Lust auf den Herbst“.

Diese Sätze hallen in mir wieder – denn es zeigt wieder einmal, wie unterschiedlich jeder Gedichte versteht, interpretiert, auf sich und sein Leben bezieht. Das ist das Wunderbare an Lyrik! Man ist so frei im Umgang mit ihr.

Nun will ich ein paar Sätze dazu sagen, wie „Herbsttag“ von Rilke bei mir ankommt. Die erste Strophe erinnert an ein Gebet. Das lyrische Ich spricht direkt Gott an („Herr: Es ist Zeit….“) Es bittet Gott darum, den Sommer, der groß war, zu beenden indem er Schatten auf die Sonnenuhren legen und die Winde auf den Fluren loslassen soll. Es spricht aus dieser Strophe eine große Feierlichkeit.

In der zweiten Strophe bittet er um letzte Vollendung am großen Werk.

Der Gebetscharakter verliert sich von Strophe zu Strophe und in der letzten, dritten Strophe scheint es, als sinniere der Verfasser so ganz in Gedanken vor sich hin. Er zieht ein Fazit und weiß mit Sicherheit, als wäre es alles bereits so, wie die Zeit im späteren Herbst sein wird.
Von Alleinsein, von Einsamkeit, ist da die Rede, von Spaziergängen in
abweisender Natur, von Unruhe (treibende Blätter) und von Heimatlosigkeit. („Wer jetzt kein Haus hat…“)

Mich macht dieses Gedicht ziemlich traurig. Ich interpretiere hier den Herbst als Symbol für die Lebenszeit, die zur Neige geht, für die Vollendung des Lebens.

Wer sich ein wenig mit Rilke und seinem Leben beschäftigt hat, weiß, dass es nahe liegt, in diesem Gedicht auch ein Symbol für seine Existenz als Dichter zu sehen. Der Dichter, der im Spätwerk nach Vollendung strebt, nach noch vollkommenerem Dichten. „Wachen, lesen, lange Briefe schreiben“ ist ja genau das, was Rilke selbst tage- und nächtelang gemacht hat. – und zwar nicht in seinem eigenen Haus – das hatte er nicht, denn er lebte meistens bei Mäzeninnen, abhängig also von deren Gunst – ohne eigene Familie (nach der Trennung von Lou Andreas-Salomé heiratete er Clara Westhoff und hatte mit ihr eine Tochter). Die Unmöglichkeit von seiner Tätigkeit zu leben bzw. seine Familie zu ernähren, zerstört diese Familie. Vielleicht auch eine gewisse Beziehungsunfähigkeit oder Egozentrik, die Dichtern oft eigen ist…(da kann ich mitreden ;-). Rilke hat uns auf jeden Fall ein großartiges Werk hinterlassen!!!

Beziehe ich das Gedicht nicht auf Rilke, sondern verallgemeinere die Interpretation, geht es ums Altwerden. Sommer wird mit Jugend und mittlerem Alter gleich gesetzt. Das Leben geht zur Neige; im Herbst kommt das Alter auf uns zu. Man zieht sich zurück (aus dem Berufsleben), ruht sich aus, auf dem, was man ein Leben lang geschaffen hat. Was heißt das konkret? Wer nun nichts Geschaffenes hat, kann sich nicht ausruhen!. Wer keine Familie, keinen Partner, keine Freunde hat, ist einsam und allein.

Wenn ich das Gedicht lese, wird mir tieftraurig ums Herz und die Herbstmelancholie ist da.

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Aber lest untenstehend das Gedicht „Herbst“ von Rilke – da gibt es auch Momente, wo er etwas findet, das ihn zu trösten vermag…

Herbst

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Rainer Maria Rilke

Fotos: „Wilde Männle“ im Val Lumnezia – August 2007

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