Liebe im Weizen

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Pablo Neruda in: ‚Ich bekenne, ich habe gelebt – Memoiren‘ – Luchterhand

Vor Mittag erreichte ich frisch und fröhlich das Zeltlager der Hernández. Mein einsamer Ritt auf verlassenen Pfaden, der erquickende Schlaf, all das strahlte meine schweigsame Jugend wieder.

Das Dreschen des Weizens, des Hafers, der Gerste wurde noch mit Stuten durchgeführt. Es gibt nichts Lustigeres auf der Welt als die Stuten zum aufmunternden Ruf der Reiter um die Tenne traben zu sehen. Die Sonne stand herrlich hoch, und die Luft war ein Wald- diamant, der die Berge zum Funkeln brachte. Das Dreschen ist ein goldenes Fest. Das gelbe Stroh türmt sich in goldenen Bergen; alles ist Tätigkeit und Umtrieb; Säcke laufen und füllen sich; Frauen kochen; Pferde scheuen; Hunde bellen; Kinder müssen alle Augenblicke, als seien sie Früchte des Strohs, aus Pferdehufen befreit werden.

Die Hernández waren eine eigenartige Sippe. Die ungekämmten und unrasierten Männer in Hemdsärmeln, den Revolver im Gürtel, waren fast immer mit Öl, Kornstaub, Lehm beschmiert oder regennaß bis auf die Knochen. Väter, Söhne, Neffen, Vettern besaßen alle den gleichen Gesichtsschnitt. Sie mochten stundenlang unter einem Motor liegen, auf einem Dach oder einer Dreschmaschine kauern. Sie unterhielten sich nie. Sie sprachen von allem im Scherzton, sofern sie nicht rauften. Beim Raufen legten sie wie eine
Springflut jeden aufs Kreuz, der ihnen in die Quere kam. Aber auch beim Kälberbraten auf freiem Feld, beim Rotwein und der Gitarre waren sie die ersten. Sie waren Grenzbewohner, Männer nach meinem Geschmack. Ich, ein bleicher Student, kam mir vor wie ein Däumling neben diesen schuftenden Berserkern; aber sie, warum weiß ich nicht, gingen so zartfühlend mit mir um wie mit niemandem sonst.

Nach dem Spießbraten, dem Gitarrenspiel, bis zur Blindheit ermattet vom Weizen und von der Sonne, richtete man sich für die Nacht ein. Die Ehepaare und alleinstehenden Frauen betteten sich in dem aus frischgeschnittenen Brettern verfertigten Feldlager auf dem Boden. Wir, die jungen Leute, mußten mit der Tenne vorlieb nehmen. Auf der Tenne häufte sich ein Berg Stroh, in dessen weichem gelbem Lager ein ganzes Dorf unterkommen konnte.

Für mich war das Ganze ungewohnt und unbequem. Ich wußte nicht, wie ich mich verhalten sollte. Behutsam schob ich meine Stiefel unter eine Schicht Weizenstroh, die mir als Kopfkissen dienen sollte. Ich zog meine Kleider aus, wickelte mich in meinen Poncho und tauchte in dem Strohberg unter. Ich lag weit von den anderen entfernt, die sofort einmütig losschnarchten.

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Lange lag ich auf dem Rücken mit offenen Augen, Gesicht und Arme mit Stroh bedeckt. Die Nacht war klar, kalt, durchdringend. Kein Mond, aber die Sterne schienen vom Regen frisch gewaschen, und über dem blinden Schlaf der anderen funkelten sie nur für mich im Schoß des Himmels. Dann schlief ich ein. Plötzlich erwachte ich, weil etwas auf mich zukam, ein unbekannter Körper bewegte sich unter dem Stroh und näherte sich mir. Ich bekam Angst. Dieses Etwas kroch langsam näher. Ich spürte die Strohhalme unter der nähergleitenden unbekannten Gestalt knacken. Mein ganzer Körper war wach, wartete. Vielleicht sollte ich aufstehen oder schreien. Ich rührte mich nicht. Ich hörte Atmen, dicht an meinem Kopf.

Und schon kam eine Hand näher, eine große Arbeiterhand, allerdings eine Frauenhand. Sie strich über meine Stim, meine Augen, mein ganzes Gesicht, zärtlich. Dann drückte sich ein gieriger Mund auf meinen, und ich fühlte am ganzen Körper bis zu den Beinen einen Frauenkörper, der sich an mich preßte.

Nach und nach ging meine Angst über in fiebernde Lust. Meine Hand entdeckte Haar und Zöpfe, eine glatte Stirn, Augen mit geschlossenen Lidern, seidig wie Mohn. Meine Hand suchte weiter und berührte zwei große feste Brüste, Hüften und runde Gesäßbacken, Beine, die mich umschlangen, und ich senkte die Finger in eine Scham wie Bergmoos. Kein Wort entwich diesem namenlosen Mund.

Wie schwierig ist es, sich geräuschlos zu lieben in einem Berg Stroh, in dem noch sieben oder acht Männer liegen,schlafende Männer, die um nichts auf der Welt geweckt werden dürfen. Sicher aber ist, daß alles möglich ist, selbst wenn es Mühe kostet. Bald darauf schlief auch die Unbekannte neben mir plötzlich ein, und ich, in Aufregung wegen der Situation, bekam es mit der Angst. Bald würde es hell, und die ersten Arbeiter würden die nackte Frau neben mir auf der Tenne finden. Doch auch ich schlief ein. Beim Erwachen
streckte ich erschrocken die Hand aus und fand nur eine lauwarme Vertiefung, ihre lauwarme Abwesenheit. Ein Vogel begann zu singen und bald füllte sich der ganze Urwald mit Gezwitscher. Dann das Pfeifen eines Motors, und Männer und Frauen kamen in Bewegung und machten sich auf der Tenne an die Arbeit. Der neue Dreschtag begann.

Zu Mittag aßen wir gemeinsam an einigen langen Brettern. Während des Essens blickte ich verstohlen um mich und suchte unter den Frauen die, welche die nächtliche Besucherin hätte sein können. Aber die einen waren zu alt, die anderen zu mager, viele blutjung und schlank wie Sardinen. Ich suchte eine füllige Frau mit voller Brust und langen Zöpfen. Plötzlich kam eine, die ein Stück gebratenes Fleisch für ihren Mann brachte, einen von den Hernández. Diese hätte es sein können. Als ich sie von meinem Tischende aus betrachtete, glaubte ich zu bemerken, daß diese schöne Frau mit langen Zöpfen mir einen raschen Blick und ein winziges
Lächeln zuwarf. Und mir war, als würde dieses Lächeln größer und tiefer und entfalte sich in meinem Körper.

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